Höhentaktik
Anpassungsstrategien und richtiges Verhalten beim Höhenbergsteigen

Höhentaktik

Höhentaktik und Anpassungsstrategien

Die Atmosphärenhülle der Erde ist vor allem charakterisiert von einer exponentiellen Luftdruck- und damit Sauerstoffpartialdruck-Abnahme mit zunehmender Höhe. Darauf reagiert der Organismus schon ab etwa 1500m Schlafhöhe (entscheidend für die Akklimatisation ist stets die Schlafhöhe, d.h. die Höhe, auf der man übernachtet).

Höhentaktik heisst Akklimatisation zur Vorbeugung der akuten Höhenkrankheit. Es existieren nach wie vor wenige Fakten zu diesem Kernthema der Höhenmedizin. Man ist daher überwiegend auf Erfahrungswissen angewiesen. Gesichert ist zumindest, dass für die nicht plötzlichen Expositionen an zuvor ungewohnte Höhenlagen der Faktor Zeit entscheidend ist.

Trekkingtouristinnen und -touristen mit einer durchschnittlichen täglichen Schlafhöhendistanz von 400m wiesen eine vierfach höhere AMS-Rate auf als solche mit 300 Vertikalmeter. Erreicht man eine Höhe von 3500m statt in einer Stunde in vier Tagen, reduziert sich das AMS-Risiko um 41% (Bärtsch et al. 2001).

Das am Tag gewählte Steigtempo kann aber, wenn man sich fallweise oder konstant jenseits an der anaeroben Schwelle belastet, zur akuten Höhenkrankheit führen.

Die Relevanz der Schlafhöhendistanzen kommt daher überhaupt nur dann zum Tragen, wenn das Steigtempo tagsüber verlässlich im aeroben Bereich bleibt. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass es immer nur auf die Schlafhöhe und nicht so sehr auf die höchste erreichte Tageshöhe ankommt. Hochsteigen und am selben Tag wieder so tief wie möglich absteigen ist höhentaktisch immer sehr vorteilhaft.

Höhenstufen

  • 1500 – 3000m Mittlere Höhen
  • 3000 – 5500m Grosse Höhen
  • 5500 – 8848m Extreme Höhen

Ausgewählte publizierte Richtlinien bezüglich der Schlafhöhendistanz und des Einsatzes von Ruhetagen während des Aufstiegs in Grosse Höhen (Adaptiert nach Luks et al. 2010a):

Quelle* Empfohlener tägl. Anstieg
der Schlafhöhe
Einsatz von Ruhetagen
Basnyat und Murchoch (2003) >3000m, Grenze bis 300m/Tag Alle 2-3 Tage oder alle 1000m
Hacket und Roach (2001) 2500m, Grenze bis 600m/Tag Alle 600-1200m
MedEx >3000m, Grenze bis 300m/Tag Alle 2-3 Tage
Union International Des Associati-Ons
D`Alpinisme (UIAA)
>2500-3000m, Grenze bis 300/500m
je nach Terrain
Jeden 3. Tag
Wilderness Medical Society
(Lucs et al. 2010)
>3000m, Grenze bis 500m/Tag Alle 3-4 Tage

*Quellen zu finden in Luks et al. 2010a

Folgende vier Merksätze stellen das Kernstück jeder Höhentaktik dar:

  • Nicht zu schnell zu hoch steigen!
  • Keine anaeroben Anstrengungen!
  • Möglichst tiefe Schlafhöhe!
  • Nie mit Symptomen weiter aufsteigen!

Das bedeutet konkret:

Steigtempo (speed of ascent)

Grundprinzip: möglichst nur aerobe Belastung während der Akklimatisationsphase. Nur so können ein stärkerer Abfall der SaO2 bzw. ein zusätzlicher, anstrengungsbedingter pulmonalarterieller Druckanstieg vermieden werden.

Das Steigtempo kann individuell sehr gut über den Eins-zu-Zwei-Atemrhythmus gesteuert werden: einen Schritt einatmen, zwei Schritte ausatmen. An schwierigen oder steil bergauf führenden Passagen reduziert man ab etwa 3000m Seehöhe den Atemrhythmus auf 1:1.

Wer Probleme mit der Steuerung des Atemrhythmus hat, kann auch folgende Methode zur Temposteuerung wählen: Wer sich im Aufstieg mit seinen Gefährten noch in ganzen Sätzen unterhalten kann, befindet sich im aeroben Bereich.

Merke: „Wer schneller geht als ein Esel, ist ein Esel.“

Schlafhöhendistanz (rate of ascent) Taktische Regeln:

  • Nach Erreichen der individuellen „kritschen Höhe“ mehrere Nächte auf dieser Höhe schlafen, bevor man weiter steigt oder
  • Weiter aufsteigen: oberhalb der „kritischen Höhe“ tägliche Schlafhöhenunterschiede nicht mehr als 300 bis 400m
  • Falls wesentlich mehr als 400m Schlafhöhendistanz geländebedingt unvermeidlich sind, sollten 2 Nächte auf der letzten oder auf der nächsten Höhe verbracht werden.
  • Grundsätzlich sollte man immer so tief wie möglich schlafen.
  • Stets müssen Fluchtwege in tiefere Regionen ins Auge gefasst werden.
  • Zudem sollte man möglichst mit erhöhtem Oberkörper schlafen und auf gut durchlüftete Zelte bzw. Schlafräume achten.

Diese Schlafhöhentaktik beruht auf allgemeinen Erfahrungswerten und kann individuellen Schwankungen unterworfen sein. Daher sollte man sich immer an der alles entscheidenden Frage orientieren:

„Wie ging es in der vergangenen Nacht, vor allem bzgl. dem Kopfschmerz, dem möglichen Leitsymptom von AMS?“ 

Merke

"Wer schneller geht als ein Esel, ist ein Esel."

Weitere taktische Kriterien

Steigen Sie nicht zu schnell zu hoch!
  • Das entscheidende Kriterium jeder Höhenanpassung ist die Geschwindigkeit mit der sie einen bestimmten Höhenunterschied überwinden. Bevorzugen Sie daher aktive Aufstiege zu Fuß (anstatt passive Aufstiege z.B. mit PKW oder Hubschrauber).
  • Wenn passive Aufstiege unumgänglich sind, sollte man nach Ankunft unbedingt 2 bis 3 Nächte auf dieser Schlafhöhe bleiben, bevor man höher steigt.
Kein Solo-Wanderung!

Als Alleingänger ist man in gesundheitlichen Notfällen (v.a. bei HAPE oder HACE) selbst auf stark frequentierten Trekkingrouten immer hilflos und kann nur in seltenen Fällen mit fremder Unterstützung rechnen.

Achten Sie auf ihre Schlafhöhe!
  • Entscheidend für die Akklimatisation ist der Höhenunterschied zwischen den Übernachtungen.
  • Wenn man sich am Ende einer Aufstiegs-Tagesetappe wohl fühlt und Zeit dazu hat, ist es durchaus sinnvoll, nach einer Rast am Lagerplatz langsam und ohne Gepäck noch etwa 100 bis 400 Höhenmeter oder mehr weiterzusteigen und dann wieder ins Lager zurückzukehren.
  • Wenn möglich, sollte eine tägliche Schlafhöhendifferenz von 300 – 400 m/d nicht überschritten werden. Falls mehr als 600 m/d nicht vermeidbar sind, sollten 2 Nächte auf dieser Höhe verbracht werden.
Achten Sie auf ihre Atmung!
  • Bewusste Hyperventilation: damit lässt sich mehr Sauerstoff aus der Luft schöpfen.
  • Durch aktives Ausatmen von Kohlendioxid kann der Sauerstoffdruck in den Lungenbläschen erhöht werden. Damit verbessert sich die Sauerstoffversorgung im gesamten Organismus.
  • Beim Schlafen äussert sich der verminderte Atemantrieb in einer periodischen Atmung (Wechsel zwischen schneller vertiefter Atmung und Atempausen).
  • Diese nächtlichen „Atemaussetzer“ nehmen mit zunehmender Akklimatisation wieder ab, vergehen in der Regel aber nicht ganz.
Trinken Sie viel!
  • Vermehrte Flüssigkeitszufuhr kann zwar die Akklimatisation nicht beeinflussen, aber anderen beträchtlichen Risiken (Thrombosen, Thromboembolien, Erfrierungen usw.) entgegenwirken.
  • Auch Ermüdung und Erschöpfung können vom Flüssigkeitsverlust mitbedingt sein.
Kohlenhydratreiche Ernährung! (Nahrungsanteil mehr als 70%)

Ist nicht nur wichtig für die Energiebereitstellung beim Höhenbergsteigen, sondern verbessert auch den respiratorischen Quotienten (= Verhältnis der in einer bestimmten Zeit ausgeatmeten Kohlendioxidmenge zum gleichzeitig aus der Luft aufgenommenen Sauerstoff).

Beobachten Sie Ihre*n Tourenpartner*in!
  • Stets auf Frühzeichen der akuten Höhenkrankheit achten!
  • Höhenbedingte Probleme werden sehr oft ignoriert oder bewusst verschwiegen. Eine der wichtigsten Verhaltensregeln bei Gruppenaufenthalten in der Höhe lautet daher : „Beobachten Sie ihre*n Tourenpartner*in und sprechen Sie ihn bei Verdacht auf akute Höhenkrankheit an!".


Aber:
Lufthunger, klaustrophobisches Engegefühl im Zelt, Unterhautödeme im Gesicht, Schlafstörungen und nächtliche periodische Atmung mit typischen, sekundenlangen Atempausen sind noch keine Zeichen von AMS, sondern ganz normale höhentypische Phänomene!

Praktische Zeichen einer gelungenen Höhenakklimatisation

  • Zum persönlichen Normwert zurückgekehrte Ruheherzfrequenz
  • Vertiefte Atmung in Ruhe und unter Belastung
  • Weiterbestehen der periodischen Schlafatmung
  • Vermehrtes, vor allem nächtliches, Urinieren (Höhendiurese)
Ruhepuls
  • Die Erhöhung des (morgendlichen) Ruhepulswertes um mehr als 20% über den individuellen Wert in Tallagen kann ein Hinweis dafür sein, dass sich der Betreffende gerade in der (stets kritischen) Anpassungsphase befindet.
  • Kehrt der Ruhepuls später wieder zum individuellen Talwert zurück, bedeutet dies, dass der Akklimatisationsprozess erfolgreich abgeschlossen ist.
Atmung

Heftiges Atmen v.a. bei Anstrengung ist auch im akklimatisierten Zustand völlig normal.

Periodische Schlafatmung

Ist ein höhentypisches Phänomen und für sich alleine kein Zeichen von Höhenkrankheit.

Höhendiurese
  • Eine Harnausscheidung von mehr als 1 Liter in 24 Stunden ist ein Zeichen für eine gute Akklimatisation.
  • Der Harn soll hell und klar sein.

Prä-Akklimatisation

Die Erfahrung zeigt: Je öfter man sich in den Monaten vor einer geplanten aussereuropäischen Höhenbergfahrt in alpinen Höhen aufhält, desto leichter fällt einem die definitive Akklimatisation.

De-Akklimatisation

„Wie lange hält ein Akklimatisationszustand in Bereichen unterhalb von etwa 1500m an?“

Eine einmal erworbene Akklimatisation bleibt in Höhen zwischen etwa 2500 und 5500m im betreffenden Höhenbereich permanent aufrecht, geht aber nach Rückkehr innerhalb weniger Tage wieder verloren, wenn man entsprechend weit absteigt.

Für die Prä-Akklimatisation und De-Akklimatisation gilt, dass die Reaktion darauf grosse individuelle Unterschiede aufweist und auch hier keine verlässlichen Faustregeln möglich sind.

Merke

Oberhalb der persönlichen „kritischen Höhe“ kann jede*r höhenkrank werden und sogar daran sterben, solange man schnell genug hoch genug steigt.

Quellennachweis:

Buch: Alpin- und Höhenmedizin
F. Berghold – H. Brugger – M. Burtscher – W. Domej – B. Durrer – R. Fischer – P. Paal – W. Schaffert – W. Schobersberger – G. Sumann

Wallgau, 21.07.2019 Alex Robl Überarbeitet und telefonisch besprochen mit Dr. Steffi Bolland am 06.08.2019

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