Nach einer kurzen Zwischenübernachtung in Oberammergau reiste ich gemeinsam mit unserem Bergwanderführer Karsten in die Schweiz nach Airolo. Es war ein sonniger Mittag, als wir am Bahnhof in Airolo ankamen. Am Hotel-Treffpunkt lernte sich dann die ganze Wandertruppe kennen. Frauenpower war hier Programm: 8 Teilnehmerinnen, 1 Teilnehmer – ein weiterer Teilnehmer war leider kurzfristig ausgefallen. Als Erstes ging es mit dem Postbus los – samt kleiner Touristeninfo durch den Busfahrer – ganz egal, wie eng die Gassen oder Kurven waren. An der Käsealm beim Nufenenpass stiegen wir aus und wanderten etwa eine Stunde hinauf zur Hütte. Die Capanna Corno Gries erstrahlte am Horizont in futuristischem Design – alias Spaceshuttle-Style. Unsere Bettenlager wurden bezogen, und es gab leckeres Essen (Spaghetti Bolognese im Schweizer Stil: ohne Spaghetti, dafür mit Hörnlinudeln und Apfelmus). Als erste Teambuilding-Maßnahme brachte uns unser Guide Karsten das Würfelspiel „Alles oder Nichts“ bei. Sagen wir so – manche waren erfolgreicher als andere …
    
                        In der „Spaceshuttle-Hütte“ wachten wir nach starkem Nebel am Vorabend im strahlenden Sonnenschein auf. Nach einem leckeren Frühstück ging es entlang kleiner Bergseen über den ersten Pass. Dazu gab es noch Fototipps und Wander-Coaching. Das erste Highlight war der Grenzstein zwischen Tessin (Schweiz) und Piemont (Italien) – ab heute hieß es also überall „Ciao!“. Weiter ging es durchs Murmeltierparadies Richtung Stausee und zur Hütte Rifugio Bim Se zur Mittagspause (ja, Nudeln gelten hier als leichte Zwischenmahlzeit). Die Sonne begleitete uns auch beim zweiten Aufstieg, der sich lang, aber konstant bergauf bis zum Passo di Nefelgiu (2.583 m) zog. Danach ging es rasch bergab – mit etwas weniger Motivation, da der Tag mit über 18 km und 1.000 hm sehr lang war. Doch die heiße Dusche (für 4 €), ein feiner Aperol und ein leckeres Essen in der gemütlichen Herberge machten das gleich wieder wett. Diese Nacht übernachteten alle gemeinsam im großen, dreistöckigen Bettenlager – schön kuschelig!
    
                        Nach einer aufregenden Nacht im Bettenlager mit kleiner Albtraum-Unterbrechung starteten wir im Sonnenschein am Stausee vorbei. Zunächst stand der Aufstieg über ein Steinfeld an – das erste Mal Blockgelände auf der Tour. In der Scharte befand sich ein befestigtes Biwak, wo wir den ersten Snack einnahmen – zum Glück windgeschützt. Das italienische Frühstück ist nämlich nicht unbedingt nahrhaft. Dann ging es bergab vor atemberaubender Kulisse mit Blick auf die „Spaghetti-Runde“, Wollgras und diverse Bergseen. Die Murmeltiere zeigten sich von ihrer besten Seite. Weiter talwärts erreichten wir ein wunderschönes Hochplateau und schließlich einen malerischen Bergsee, an dem wir die Füße kühlen konnten – welch eine Wohltat! Entlang des Sees fühlte man sich fast wie in Kanada. Am Ende erwartete uns die wohl beste Yoghurteria Italiens. In unserer Pension im Tal gab es zur Belohnung einen Spritz und eine heiße Dusche – was für ein schöner Tag!
    
                        Der Morgen startete wie immer um 7 Uhr mit Frühstück – auch dieses Mal sehr italienisch, mit ausschließlich Weißbrot und wenigen Beilagen. Die Sonne hielt sich heute leider hinter den Wolken, aber das hielt uns nicht davon ab, die 15 km lange Etappe mit 1.000 hm Aufstieg und 850 hm Abstieg anzugehen. Die steilen Anstiege wurden immer wieder durch wunderschöne Hochebenen unterbrochen, die meist in der Hand von Schafen und riesigen Hütehunden waren. Nachdem der zweite Pass (mit kurzen Drahtseilpassagen) erklommen war, gönnten wir uns eine wohlverdiente Mittagspause. Der Nebel wollte zwar nicht ganz weichen, zog aber immer wieder etwas auf und ließ uns erahnen, durch welch herrliche Landschaft wir wanderten. Auf den letzten Metern zur Hütte setzte Regen ein. Unser Ziel hatten wir uns heute wirklich verdient: das Albergo della Fonte – ein kleines Bergdorf auf einer Hochebene. Nach heißer Dusche und Cappuccino mit Kuchen folgte die Planung für den nächsten Tag und schließlich das Abendessen. Die italienischen Vorspeisen waren einfach köstlich (und sehr Pasta-lastig). Natürlich durfte auch die Polenta nicht fehlen – sie wurde Namensgeber unserer Aufstiegs-Crew: Circulo Polenta. Jetzt hieß es schlafen, verdauen und den morgigen Regentag auf sich zukommen lassen …
    
                        Starkregen, Gewitterwarnung und ein kurzfristig abgesagter Rufbus – mit solchen Nachrichten startet man ungern in den Tag. Aber wir hatten alles im Griff, und außerdem gab es endlich mal wieder Joghurt, Käse und Schinken zum Frühstück – nicht nur Marmelade und Nutella auf Weißbrot (es sollte das einzige Mal in dieser Woche bleiben). Dann hieß es: Regensachen an und ab ins Tal. Wir liefen also mit dem Wasser bergab – zwischendrin war es ziemlich glatt, daher blieben die Handys im trockenen Rucksack. Bis zur Ponte gaben wir Gas und kamen schließlich, von außen und innen nass, in San Domenico an. Mit einer abenteuerlichen Taxifahrt – dafür aber guter Musik – ging es nach Varzo. Dort konnten wir uns im Hotel trockenlegen und nach einem leckeren Pastaessen entspannen. Für die eine Hälfte der Gruppe ging es anschließend mit dem Zug ins Wallis, in die Schweiz, nach Brig. Der Regen legte sich, und wir erkundeten das Örtchen in unserer besten Wanderkleidung. Sogar die Sonne kam heraus, und beim Aperò am Marktplatz konnten wir entspannen und Leute beobachten – eine herrliche Abwechslung nach den Tagen abseits der Zivilisation. Auf dem Rückweg machten wir noch einen Schlenker durch Varzo, wo sich – entgegen aller Vorhersagen – erneut die Sonne zeigte. Nach dem Abendessen (natürlich wieder mit Polenta zur Auswahl) genossen wir den Luxus einer eigenen Dusche und packten unser Wechselgepäck um.
    
                        Voller Motivation wachten wir in Varzo auf. Es gab – für italienische Verhältnisse – ein ausgiebiges Frühstück mit Pancakes und Müsli. Anschließend brachte uns ein Shuttle zurück in die Schweiz. Unsere Fahrerin Bea meisterte die steilen, einspurigen Kurven souverän, bis wir am Ausgangspunkt der heutigen Wanderung ankamen. Dann kam sogar kurz die Sonne heraus. Leider führte unser Weg jedoch nicht in Richtung Sonne, sondern in die Regenfront. Also hieß es wieder: Regenmontur an! Von Poncho bis Regenschirm war alles dabei, was uns halbwegs trocken hielt. Bald zog Nebel auf und schuf eine mystische Stimmung. Über spannendes Blockwerk schlängelten wir uns Stein für Stein hinauf zum Pass. Die Aussicht war eine weiße Wand, doch für einen Moment huschten zwei Steinböcke vor uns vorbei. Über rutschige Wiesen und an einigen (vermutlich sonst wunderschönen) Bergseen vorbei ging es hügelig bergab, bis wir endlich eine italienische Fahne entdeckten – dort musste unsere Hütte sein. Wir wurden herzlich auf Italienisch von ein paar Mamas empfangen. Sie nahmen uns sofort die nassen Sachen ab, stopften die Wanderschuhe aus und schürten den Ofen mit frischem Holz. Als Snack gab es hausgemachte Pizza – perfekt, um sich aufzuwärmen. Die sanitären Anlagen waren rustikal, aber mit dem Luxus einer Dusche war alles da, was man nach einem langen Wandertag braucht. Vor dem warmen Ofen machten wir es uns gemütlich, genossen ein hervorragendes Abendessen und die besten selbstgemachten Cantuccini, die ich je gegessen habe. Das Rezept haben wir uns trotz Sprachbarriere geben lassen! Zum Abschluss gab es mit der Hütten-Crew einen Verdauungsschnaps – das ist Service! Alle Gäste (außer uns nur drei weitere Personen) und die Belegschaft spielten noch Karten, würfelten oder unterhielten sich, bis sich alle zur Hüttenruhe ins Bettenlager zurückzogen. Hoffentlich trocknen unsere Sachen über Nacht …
    
                        Die Sonne ist zurück! Nach einer ruhigen Nacht – trotz Stehklo (italienischer Standard) – gab es ein spartanisches Frühstück mit Kaffee oder Tee aus Schalen (doch kein erhofftes Müsli). Nach einem Abschiedsfoto mit den Hüttenmamas und leider noch immer feuchten Schuhen ging es los. Der eiskalte Wind peitschte uns um die Ohren, doch dafür erwarteten uns zwei großartige Pässe. Wir sahen Adler, Steinböcke, Esel und Schafherden, die über die Wiesen getrieben wurden. Eine ganze Wiese voller Edelweiß stand in voller Blüte. Danach ging es bergab, durch immer mehr Vegetation und Himbeerfelder entlang des Weges. Der Abstieg war lang, aber in Gesellschaft verging er schnell. Belohnt wurden wir mit einem wundervoll türkisfarbenen Bergsee. Zum Baden war es zu kalt, aber zum Füßekühlen und für eine Snackpause ideal. Dann folgte das letzte Stück zur Hütte, wo wir noch etwas Sonne genießen konnten. Frisch geduscht, mit gewaschener Wäsche und leckerem Abendessen, hieß es natürlich wieder: Alles oder Nichts! – unser Würfelspiel der Woche.
    
                        Der letzte große Wandertag stand bevor. Ab morgen sollte eine Schlechtwetterfront kommen, also wollten wir die Sonne heute noch einmal voll auskosten. Nach einem sehr spartanischen Frühstück (Weißbrot, Marmelade, Honig, Kekse – und das alles sogar ohne Teller) wurden wir in zwei Fuhren über kurvenreiche Straßen zum Startpunkt gefahren. Dann ging es direkt los – glücklicherweise zunächst im schattigen Wald. In stetigem Tempo meisterten wir rund 1.000 hm. Die Riegelpause durfte nicht fehlen, und unterwegs passierten wir einige alte Alpen. Oben an der Rifugio Alpe Colma angekommen, bot sich ein herrlicher Blick auf die Rückseite des Weissmies und die umliegenden Berge (viele davon im Wallis). Beim Picknick schmiedeten wir bereits Pläne, wie wir die geschlossene Alpe „bewirtschaften“ könnten – mit Sonnenaufgangs-Yoga, Karaoke-Events und klarer Aufgabenverteilung. Spontan entschieden wir uns, die Tour um eine Gratwanderung mit dem ersten und einzigen Gipfelkreuz der Woche zu erweitern. Der Ausblick war traumhaft – sogar mit Sicht auf den Lago Maggiore. Das tiefe Puschelgras auf unbegangenen Pfaden brachte unsere Sohlen zum Glühen. Nach dem Eintrag ins Gipfelbuch ging es steil bergab – 1.500 hm durch Wiesen und Laubwald. Der endlose Abstieg strapazierte Nerven und Knie gleichermaßen. Um halb sieben erreichten wir endlich unsere Unterkunft. Die Zimmer wurden im Eiltempo bezogen, und zum Glück wurden wir mit italienischem Essen der besten Art belohnt (keine Polenta!): Pasta, Gnocchi, Pizza und Gelato. Nach diesem langen, aber eindrucksvollen Tag fielen alle erschöpft ins Bett, um Kräfte für die morgige Regenetappe zu sammeln.
    
                        Nachdem wir mit schweren Beinen wie Steine geschlafen hatten, starteten wir ins Grande (oder auch nicht ganz so Grande) Finale. Natürlich gab es wieder Weißbrot und Marmelade zum Frühstück – und auch der Regen war zurück. Egal, die letzte, kürzere Etappe war trotz müder Füße gut machbar. Wir wanderten von Dorf zu Dorf über glitschige Steinwege und ließen die vergangenen Tage Revue passieren. Zwischendurch verzog sich der Regen kurz, und am Ende belohnten wir uns mit Cappuccino für 1,50 € oder Aperol für 3 €! Unsere Gruppe stürmte das Bahnhofscafé, um die Wartezeit bis zum nächsten Zug zu überbrücken. Nach ein paar leckeren Snacks ging es mit dem (in Italien übrigens sehr pünktlichen) Zug von Piedimulera in Richtung Ortasee. Dort wurden wir von einem kräftigen Regenguss empfangen – was uns jedoch nicht vom Schwimmen im See abhielt! Die heiße Dusche danach war eine Wohltat, und der Nachmittag wurde entspannt in der Lobby verbracht. Kurz vor dem Abendessen hörte der Regen sogar einmal auf – das musste natürlich fotografisch festgehalten werden. Gemeinsam genossen wir das letzte Abendessen. Unser Wanderführer Karsten hielt eine tolle kleine Rede, und auch wir überreichten ein Abschiedsgeschenk. Wir blieben noch so lange im Restaurant, bis die Bedienung in den Feierabend ging – ein stimmungsvoller Tourenausklang.
    
                        Jede Reise hat leider auch ein Ende. Heute Morgen stiegen die Ersten schon sehr früh in den Zug nach Hause. Die anderen nutzten das trockene Wetter für ein kleines Frühschwimmen. Nach dem erfrischenden Bad gab es ein ausgiebiges Frühstück – diesmal nicht nur mit Weißbrot und Marmelade. Gut gestärkt machten wir uns auf den Rückweg – bei Sonnenschein entlang des Lago d’Orta und Lago Maggiore. Zur Krönung fuhren wir gleich zweimal durch den berühmten Gotthardtunnel, da unser Taxifahrer die Abfahrt verpasst hatte. Das bedeutete 45 Minuten Umweg, aber so kamen wir pünktlich zum Mittagessen wieder in Airolo an. Dort genossen wir mit dem letzten Rest der Truppe Pizza in der Sonne und stießen auf die großartigen Wandertage an. Mit einem letzten Sprühregen bei Sonnenschein verabschiedeten auch wir uns und traten die Heimreise an. Es war eine beeindruckende Tour, die uns alle an unsere körperlichen und mentalen Grenzen brachte – und zeigte, wie jeder Tag in den Bergen ein neues Abenteuer sein kann, das Menschen zusammenschweißt. Alle waren begeistert von den einsamen Ecken, die wir im Tessin, Piemont und Wallis entdeckt haben – und freuen sich schon auf die nächste Tour. Vielleicht ja sogar auf dem nächsten Abschnitt der Grande Traversata delle Alpi.
